Ich bin kein großer Freund von oberflächlichen Bekanntschaften und möglicherweise ist das der Grund dafür, dass mir sowohl der Flow als auch das Runner´s High noch nicht über den Weg liefen.

    Harald´s Flow-Empfinden

    Satt einem Endorphinüberschuss sammelten sich – ob im Training oder während offizieller Laufwettbewerbe – eher die Schweißperlen der Qual auf meiner Stirn, während sich das Innenleben mit jedem Schritt das Ziel stärker heran wünschte. Statt der Vorfreude bei Läufen über die 10 Kilometer- Halbmarathon- oder Marathondistanz, manifestierte sich in meinem Bewusstsein die Gewissheit von Qual, Leiden und Schmerzen und trotzdem rannte und renne ich weiter.

    Photo : Vianney THIBAUT

    Mit den Langstrecken in den Bergen gesellte sich neben der Anspannung irgendwann auch so etwas wie Abenteuerlust und Naturerfahrung hinzu und wer weiß, vielleicht betäubten Endorphine und der Flow auch mit fortschreitenden Kilometern und Höhenmetern die Schmerzen. Unterbewusst. Und oftmals erst dann, wenn ein funktionierendes System aus dem Gleichgewicht gebracht wird, begibt man sich auf die Suche nach der Basis dessen, was es so lange aufrecht erhalten hat und wie es sich wieder verinnerlichen lässt. Dass „Flow“ kein Ammenmärchen gewiefter Autoren von Laufzeitschriften ist (übrigens genauso wenig wie die berüchtigte Endorphinausschüttung) und einen wissenschaftlichen Hintergrund hat oder eben eine Wissenschaft für sich ist, beschreibt Michele Ufer in seinem Buch „Flow“. Die Forschungsreise „Flow“ hat sich am Ende der Lektüre gelohnt, ich bin schlauer und denke über ein paar praktische Fragen nach, die Ufer am Ende des Buches aufwirft. Doch wie ist es meiner Kollegin bei der Lektüre ergangen?

    Gritt’s Flow-Erfahrung

    Flow, ein großes Wort, von dem ich zugegebenermaßen etwas genervt, weil in aller Munde, war. Sicher war dies auch der Tatsache geschuldet, dass dieser Zustand einer ist, der sich nicht wirklich in Worte fassen lässt, man muss es selbst erleben. Doch wie? Flowjäger, ein Buchtitel, der eine Antwort darauf versprach, wie man sich in diesen Zustand versetzen kann. Doch es kam anders, denn noch bevor ich die erste Seite des Buches gelesen hatte, erlebte ich ihn: den Flow. Bei einem Ironman Wettkampf auf den letzten 60 Kilometern auf dem Rad und den ganzen Marathon bis kurz vor die Ziellinie. Ob mein persönlicher Flow der Tatsache geschuldet war, dass ich mir bei Kilometer 120 auf dem Rad eine Verletzung zuzog, ist spekulativ, aber ich gehe in meinem Fall davon aus, dass dieses schmerzvolle Ereignis mich in den ersten Flow meines sehr langen Sportlerlebens versetzte.

    Logisch betrachtet war eine Zielankunft unmöglich. Nach der Lektüre des Buches macht das Erreichen des Ziels verbunden mit dem Schmerz und dem Flowererlebnis aber durchaus Sinn. Ich war in einer Art Trance, in der Schmerz zwar präsent, aber dennoch nicht spürbar war. Ein Tunnel, in dem rechts und links alles vorbeizufliegen schien. Ein Zustand, den ich aus einer Hypnose-Therapie kenne: Hier und doch so weit weg. Rechtzeitig zum Zieleinlauf war ich jedoch wieder voll und ganz im echten Leben! Ob ich nun wieder in den Zustand eines Flow’s gelangen kann, weiß ich nicht. Aber wenn ich ihn wieder erlangen sollte, so weiß ich, er ist einfach nur einzigartig und die Jagd danach lohnt sich auf jeden Fall. Die Lektüre des Buches nach dieser eigenen Flow-Erfahrung war sicher interessanter, als ohne diese. So zumindest mein Empfinden.

    Michele Ufers Flowjäger

    Wie alleine schon die unterschiedlichen Flow Erfahrungen in unserer Redaktion zeigen, war es auch für den Sportpsychologen Ufer keine einfache Aufgabe dem Flow auf die (wissenschaftliche) Spur zu kommen. Grundlage des Buches ist Michele Ufer´s Doktorarbeit, allerdings ohne Statistiken, dafür mit vielen Selbstversuchen und Interviews mit Laufsportlern wie Stephan Hugenschmid oder Florian Reichert und vielen anderen Hobbyläufern. Während zumindest Ansätze für eine „Flow-Forschung“ im Marathonbereich bereits existent sind, blieben die Trail- und Ultramarathonläuferinnen und -läufer von der Flow-Forschung verschont. Bis eben jener Michele Ufer kommt und das durchaus mit 100 prozentiger Berechtigung.

    Denn wer könnte besser von der „Flow-Forschung“ und einer praktischen Umsetzung profitieren wie die Langstreckler? Doch Vorsicht: Flowjäger von Michele Ufer ist kein Handbuch für Suchende, es begegnet dem Flow-Zustand auf wissenschaftlichem Wege mit einigen Abstechern zum Beispiel zur Motivation. Und wer bislang nicht wusste, dass dem Flow bereits 1960 von dem ungarisch-amerikanischen Psychologen Mihály Csikszentmihaly auf die wissenschaftliche Sprünge geholfen wurde oder das Flow von den Lung-Gom-Pa-Mönchen praktiziert wird, ist mit Michele Ufers Buch auf einem guten Weg zu mehr (sportpsychologischem) Wissen. Die Kombination aus Wissenschaft und Lehre, aus praktischen Beispielen, Interviews und Selbstversuchen ist absolut lesenswert und vermittelt ein Verständnis davon, was mit uns passiert, wenn wir abschalten, befreit und doch hoch konzentriert unserer liebsten Beschäftigung nachgehen. Dem Laufen!

    Wer allerdings eine praktische Anleitung zu Ansätzen der Selbsthypnose oder besser gesagt zum Mentaltraining sucht, dem sei unbedingt Ufers Buch „Mentaltraining für Läufer“ empfohlen.

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