Im Pitztal fließt sie, die Milch und zweifelsohne ist die eine echte Attraktion für alle Besucher. Für Wanderer ist die Milchpipeline entweder auf einer entspannten oder einer etwas herausfordernde Tour gut zu erreichen. Und das Beste: Sie fließt sozusagen unter den Wanderern hindurch.

    Seit 1958 befördern die Bauern von der Tanzalm im Pitztaler Hochzeigergebiet die Milch per Pipeline ins Tal. Damals wagten die schlauen Bauern den Versuch – und verlegten unterirdisch eine Art Gartenschlauch. Wer sich zur Quelle aufmachen möchte, erreicht die knapp 2000 Meter hoch gelegene Tanzalm in zwei Stunden – und wird oben mit einem gigantischen Blick auf die Kaunergruppe bis hinüber zum Arlberg belohnt. Hirte Mario wohnt direkt neben dem Stall im Berggasthof Tanzalm, den seine Familie gepachtet hat. Bevor er auf Kühe umsattelte, hat der 26-Jährige hier gekellnert und Gäste mit Kasknödelsuppe, Tiroler Jause und köstlichem Kaiserschmarrn verwöhnt. Als sein Vorgänger vor drei Jahren in den Ruhestand ging, ergriff Mario die Gelegenheit: Seitdem genießt er das selbstbestimmte Hirtendasein.

    Die Tanzalm

    Dank Pipeline kann er es dabei viel ruhiger angehen lassen als seine Großmutter, die hier in den 1950-er Jahren die Milch noch zu Käse und Butter verarbeiteten musste. „Bloß kein Stress“, gilt ohnehin als Motto. Denn wenn die Kühe hektisch werden, flockt die Milch aus und das gilt es tunlichst zu vermeiden. So kümmert sich der Hirte mit viel Fingerspitzengefühl um die 61 Kühe, die ihm die Bauern zur Sommerfrische gebracht haben. „Sanfter Druck reicht völlig aus“, erklärt Mario, der alle Kühe mit dem Kosenamen „Mause“ ruft und ein wenig stolz darauf ist, dass die meisten schon nach wenigen Tagen auf der Alm eigenständig den für sie vorgesehenen Parkplatz im Stall ansteuern.

    Im Stall

    Die gewonnene Milch wird über die Rohmelkanlage in den Tank gepumpt und von Kuh-Körpertemperatur auf vier Grad Celsius gekühlt werden. Andernorts stehen jetzt Transport oder alternativ Käse- und Butterproduktion auf dem Programm. Auf der Tanzalm dagegen lässt man den Dingen ihren Lauf. Um genau zu sein, muss Mario vorher noch Schläuche umstecken. Denn durch die drei Kilometer lange Pipeline, die auf ihrem Weg ins Tal 800 Höhenmeter überwindet, rinnt permanent frisches Bergquellwasser. Das hält die Leitung sauber. Zwei Schaumstoff-Pfropfen werden zum Trocknen der Innenwände hinterhergeschickt – schließlich soll sich die Qualitätsmilch nicht mit Wasser mischen. 36 Minuten später kommen die beiden Ausputzer bei Ehrentraud in der Milchsammelstelle an. Für sie das Signal, dass gleich die frische Milch einschießt und sie ihr Schlauchende mit dem Milchtank verbindet. Wenn die Einheimischen mit ihren Milchkannen eintrudeln, kann Ehrentraud aus dem Vollen schöpfen. „Früher haben auch die Hoteliers bei uns geholt – aber heute darf Rohmilch nur noch für den Privatgebrauch verwendet werden“, sagt Gebhard Schöpf, der Obmann der Agrargemeinschaft Tanzalpe, in der die Bauern zusammengeschlossen sind. Daher bleibt nur ein geringer Teil im Tal, das meiste holt die Molkerei. Sie war es auch, die einst den Anreiz zum Pipelinebau gab. Denn in den 1950-er Jahren, als es noch keine Milchseen gab, fehlte während der Almsaison schlicht der Rohstoff zur weiteren Veredelung. Was lag näher, als den Bauern den Milchtransport ins Tal schmackhaft zu machen? „Molkerei und Landesregierung haben Zuschüsse gezahlt und uns die Bauanleitung gegeben“, so Schöpf.

    Noch rinnt Bergwasser durch die Pipeline

    Die Pipeline hat nur neun Millimeter Durchmesser. Das klingt zwar lächerlich, ist aber offenbar goldrichtig. Denn eine zu hohe Fließgeschwindigkeit würde dazu führen, dass sich Eiweiße und Fette trennen – oder salopp: dass unten Buttermilch rauskommt. „Alle 150 Meter sind zudem Schlaufen eingebaut, die aussehen wie Dreier-Loopings, damit das Tempo gebremst wird“, erklärt Schöpf. Warum die Pipeline nur im Pitztal wirklich funktioniert? „Andernorts gab es häufig Probleme mit der Hygiene“, weiß der Experte und betont, dass im Schlauchinneren nicht der geringste Widerstand sein darf, weil sich sonst Bakterien festsetzen. Bleibt zu folgern, dass die Bauern der Tanzalpe offenbar sehr präzise waren, als sie den Schlauch verlegt und die Teile verbunden haben.

    Foto: TVB Pitztal

    Wenn die Milch bei Ehrentraud im Tal ist, gehen im Berggasthaus Tanzalm allmählich die Lichter aus. Denn früh um 5 Uhr ist die Nacht zu Ende – oder „Tagwache“, wie man im Pitztal sagt. Noch bis zum 10. September geben die Kühe hier den Rhythmus vor. Dann ist Almabtrieb und das ganze Dorf feiert. Mario wird im Winter übrigens im Berggasthaus kellnern. Aber nur so lange, bis die Tanzalm wieder ruft.

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