ETU-Europameister und Rechtsanwalt Patrick Dirksmeier im Interview über die Konsequenzen von „unterlassener Hilfeleistung“ während eines Triathlon-Wettkampfes.

    Hohe Wellen schlug ein Beitrag in der Facebook-Gruppe „Triathleten in Deutschland“, in dem sich die Gemüter bei der Frage sichtlich erregten, ob man als Triathlet während eines Wettkampfes zur Ersten Hilfe bzw. zum Leisten von möglichen „lebensrettenden Sofortmaßnahmen“ verpflichtet ist oder eben nicht. Die Ansichten, Meinungen spiegelten im Spektrum zahlreiche Reaktionen von „selbstverständlich helfe ich“ bis hin zu „bedingt durch den Haftungsausschluß, ist dies einzig Sache des Veranstalters“. Grund genug dieses spannende Thema einmal näher zu beleuchten und mit einem Triathleten zu erörtern, der über ein hohes Maß an Kompetenz verfügt, sowohl in seinem Bereich als Triathlon-Profi, als auch als praktizierender Rechtsanwalt: Patrick Dirksmeier (34, amtierender Triathlon Europameister über die Mitteldistanz).

    Patrick, das Szenario, welches dem Beitrag in dem Facebook-Forum zugrunde lag, schilderte einen Radsturz während eines Wettkampfes auf freier Strecke, ohne sonstige Beteiligte oder Zuschauer am Streckenrand. Die Frage war nun: muss ein Athlet sein eigenes Rennen unterbrechen, wenn er Kenntnis von diesem Sturz eines Kontrahenten vor sich nimmt oder darf er sein Rennen unverzüglich fortsetzen? Wie sieht hier die wirkliche Rechtslage aus, denn die geäußerten Kommentare spiegelten in den unterschiedlichsten Meinungen oder Annahmen ein hohes Maß an Unsicherheit oder Unkenntnis. 

    Patrick Dirksmeier

    Patrick Dirksmeier:
    In der Tat ist es ein spannendes Szenario und eine interessante Frage. Generell muss man hier feststellen, dass die meisten Aussagen auf Annahmen und „Hausverstand“ basieren, aber sich nur selten mit der geltenden Rechtslage decken. Zunächst einmal gibt es aber, vor dem rechtlichen Aspekt, den ich noch genauer erläutern werde, einen moralisch-ethischen Standpunkt, von dem man dieses Szenario stets betrachten sollte. Wenn ein Mensch offensichtlich nach einem Unfall in Not ist, ist es eine Frage des persönlichen moralischen Kompasses, ob man hier anhält, sich ein Bild über die Lage macht und angemessene Hilfe leistet oder ob man dieses Handeln unterlässt und es dem „höheren Ziel“ eines bestmöglichen sportlichen Ergebnisses unterordnet.

    Dieser Standpunkt ist einfach nachzuvollziehen und sollte – gerade bei Sportlern – einer generellen Grundeinstellung entsprechen. Wie aber sieht es rechtlich aus? Hier geisterten Begriffe wie „Haftungsausschlußklausel“ und „Wettkampf-Situation“ durch Hunderte der Kommentare zu diesem Thema.

    Ohne hier jetzt zu sehr ins Detail zu gehen, gibt es hier wirklich sehr viel Rechtsunsicherheit und ein Vermischen der Rechtsformen.
    Zunächst einmal gilt: Ein Triathlon-Wettkampf ist kein rechtsfreier Raum. Eine Teilnahme entpflichtet also in keiner Weise sich an geltendes Recht zu halten.

    Das deutsche Recht untergliedert sich in drei Teilbereiche: Strafrecht, Zivilrecht und Öffentliches Recht. Im Strafrecht geht es um den Strafanspruch des Staates gegen einen vermeintlichen Straftäter. In Strafgesetzen sind Handlungen unter Strafe gestellt, die unerwünscht sind. Dies können Körperverletzungen und Diebstähle sein, aber eben auch „Unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB). Dieser Paragraph gilt stets, egal, ob im Alltag oder in einer Wettkampfsituation. Wenn man also einen anderen Athleten außerhalb des Sichtfeldes einer weiteren Person stürzen sieht, z.B. während einer kurvenreichen Bergabpassage und seine eigene Fahrt unvermittelt vorsetzt, dann kann dies strafrechtliche Konsequenzen haben. Daher wäre es hier auf jeden Fall wichtig anzuhalten, sich einen Überblick über den Grad der Verletzung zu verschaffen und im Zweifelsfall „zumutbare Hilfe“ zu leisten, um sich rechtskonform zu verhalten. Etwas anders sieht dies natürlich aus, wenn der Sturz sich im unmittelbaren Umfeld einer Aid Station abspielen würde, wo sichergestellt ist, dass zahlreiche Helfer und Passanten unmittelbar Hilfe leisten können und dies sogar mit einem höheren Wirkungsgrad.

    Ist diese strafrechtliche Betrachtung der einzige Blickwinkel in einem solchen Fall? Wo ordnet man die häufig erwähnte „Veranstalterhaftung“ ein?

    Das Zivilrecht regelt das Verhältnis zwischen Bürger und Bürger. Dies können Ansprüche aus Verträgen (z.B. Anmeldung oder Teilnahme an einer Sportveranstaltung) sein. In Frage kommen auch Schadensersatzansprüche oder Unterhaltsansprüche. Dies ist ein weiterer und von der strafrechtlichen Verfolgung getrennt zu betrachtender Vorgang.

    Hierbei gilt allerdings, auch wenn man vor dem Strafrichter („unterlassene Hilfeleistung“) glimpflich bzw. “günstig” davongekommen ist, kann die Sache für den Täter damit unter Umständen noch nicht vorbei sein. Denn damit ist erst der strafrechtliche Teil, d.h. das Bedürfnis des Staates, die Handlung als verbotene Tat zu bestrafen, erledigt.

    Aufgrund des oben erklärten Unterschiedes zwischen den Rechtsgebieten kann es nun auch noch zu einem Zivilprozess kommen. Derjenige, dem nicht geholfen wurde, könnte seinen Schaden üblicherweise ersetzt bekommen. Dies würde er über einen zivilrechtlichen (Schadenersatz-)Prozess versuchen.

    Vielen Dank für die ausführliche und fachlich profunde Darstellung der aktuellen Rechtslage. Was würdest Du nun als Fazit Triathleten oder Sportlern allgemein raten, die in eine solche Situation kommen?

    Nun, als Profi-Triathlet kenne ich den vielzitierten „Tunnelblick“ sehr gut. Dieses Fokussiertsein auf das bestmögliche Ergebnis und diese hohe Konzentration macht es sicherlich nicht einfach, aus dem „Flow“ heraus bei Radkilometer 75 den Betriebsmodus zu ändern und aus der Aerohaltung in das Bewusstsein eines Unfallhelfers zu wechseln und unter Umständen „Erste Hilfe“ zu leisten.
    Aber nicht nur die rechtliche Ausgangssituation, sondern auch das ethische Gewissen sollten hier zu folgendem Verhaltensmuster führen:
    „(A) Ansprache des Verunfallten, (B) Feststellung der Schwere des Unfalls, (C) angemessene Hilfeleistung sollte der Sturz lebensbedrohliche Folgen haben können und (D) Fortsetzung des eigenen Wettkampfes“
    Ist der Gestürzte nicht allzu schwer verletzt und ich setze meinen Wettkampf fort, so kann ich trotz allem dem nächsten Streckenposten / Zuschauer informieren. Dieser Personenkreis verfügt in der Regel dann ja auch über ein Telefon, um die medizinische Versorgung schnellstmöglich zu gewährleisten.

    Das Gespräch wurde von Chris Ernst mit Patrick Dirksmeier geführt, dem amtierenden ETU Triathlon- Europameister auf der Mitteldistanz. Dirksmeier ist studierter Jurist und arbeitet als Rechtsanwalt in Lippstadt.

    Text und Bild: Chris Ernst

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